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Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt Nr. 35 / 1986
© Jürgen Duenbostel

Alltag im Alter, Siechtum, Ab ins Heim, Mutter und Sohn - nur selten sind das Themen fürs Theater.
Beobachtungen an einer Hamburger Privatbühne

Alles nur Spiel?
Von Jürgen Duenbostel

Schon vor dem Thema steht Berührungsangst: Alltag im Alter, Siechtum, Pflegeheim, Mutter und Sohn. Nur wenige Bücher, wenige Filme drücken sich nicht davor. Denn Distanz ist dabei schwer zu wahren - weder für Autor, Schauspieler, Publikum. Ein jeder, eine jede ist betroffen.

Da, wo es kein Entrinnen gibt, im engen Keller-Cabinett des Piccolo-Theaters, versteckt in einer Seitengasse Hamburg-Altonas, setzt Günther Hüttmann (Theater Dortmund) sich und sein Publikum dem Ein-Personen-Einakter aus. Du bist meine Mutter heißt das Stück von Joop Admiraal , ein Selbstgespräch und Dialog mit jener alten Frau, die ihn einstmals geboren hat.

In Abstimmung mit Joop Admiral hat Hüttmann das Stück mit eigenen Erfahrungen verwoben. Sich selbst und seine Mutter spielend, kommt er mit knappen Andeutungen, manchmal ohne Worte aus. Auch das Bühnenbild besteht nur schlicht aus Bett und Tisch und Stuhl. Genügend Elemente für ein umfassendes Bild!

Er, der Sohn, kommt jeden Sonntag zu Besuch ins Pflegeheim. Auf der Anfahrt mustert er im Zug, im Bus die Menschen, die alle eine Mutter haben oder hatten, die alle einmal Kinder waren. Ein Kind, der Mutter ähnlich und doch anders. Abhängig von ihr und doch ihr Widerpart.

Da ist das kranke Gör, das seinen Haferschleim nicht ißt - trotz Drohung; das Händchen, das die Mutter hauen will und es dann doch nicht kann. Abnabeln wird das Kind sich, wenn es längst erwachsen ist, und doch im Grunde nie.

Grafik 
Hüttmann

Günther Hüttmann
Mutter im Pflegeheim. Ist's Liebe oder Pflichtgefühl, sie zu besuchen? Ist's Schuldbewußtsein oder schlicht Routine? Am Sonntag, beim Besuch, da kommen die Erinnerungen, wenngleich die Mutter vieles auch schon durcheinanderbringt. Dann aber wieder ist sie hellwach und bewußt, genießt Vergangenheit und Gegenwart, wie jetzt die Blumen, Astern, und im Hof des Heimes die Kastanien, den Kakao. Ja, das ist Leben, schönes, volles und erlebtes Leben mit dem Sohn gemeinsam, der - wie rührend - jeden Sonntag kommt.

Lästige Pflicht, lästiges Anziehen der gebrechlichen, steifen, alten Frau, die manchmal nicht mehr weiß, was sie will und wer sie ist. Aber die Schwestern im Pflegeheim sind nett und freundlich, schnell und routiniert. Die Architekten haben perfekte Arbeit geleistet. Die Wohnanlage - hufeisenförmig - bringt selbst im Alter Glück und schließt alles mit ein: die Blumen (pflegeleicht) im Park, die Parkbank in der Sonne, die Unterhaltung im Unterhaltungsraum, schließlich den Tod.

Oder den Nicht-Tod nach dem Schlaganfall. Das Liegen, Warten, Wieder Laufen-, wieder Sprechen- wieder Denkenüben. Und der Besuch der Kinder - sei es aus Liebe oder Pflichtgefühl.

"Tante Hiltrud hat Tabletten genommen", wirft Mutter manchmal unvermittelt ein. "Sie hielt es nicht mehr aus."

Distanz ist nicht mehr möglich. Und doch Ausflüchte der Gedanken, denn alles ist ja nur Theaterspiel; man selbst - zum Glück - ist ja nur Publikum.

Eine Szene kommt mir in den Sinn, die ich als Junge, 13 oder 14 Jahre alt, in einem Buch gelesen habe: Eskimos nehmen Abschied von ihren Alten in Liebe und mit Herzlichkeit. Sie singen, sie essen gemeinsam; sie wickeln Mutter unter Küssen ein und schicken sie dann im Kajak sanft in die Kälte auf die große Reise.
Paradies oder Not?

Szenenwechsel der Gedanken: Giftige Altenteiler auf dem Lande. Und doch eine behütete Ordnung. Zusammenleben der Generationen auf dem Bauernhof. Gemeinsam säen und ernten, wachsen und vergehen.

Szenenwechsel zurück zum Stück. Industriegesellschaft. Kleine Mietwohnung oder parzelliertes Ein-Familien-Haus. Märkte für alles. Bezahlt sind Dienst und Leistung bereits im Kindergarten. Gekauft sind Dienst und Leistung auch in der Pflege-Heim-Fabrik. Versicherung, bezahlte Behütung. Ablaß für unsere Schuld.

Der Tod ist nicht die Lösung. Und der Beifall nach dem Stück, Beifall der 28 Zuschauer - eng gedrängt im winzigen Theater - ist auch nur Ausflucht. Denn alles ist nur Schau, nur Spiel.
- Nur, Spiel ist Vorbereitung auf das Leben  -   und den Tod.

© Jürgen Duenbostel


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