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Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt Nr. 11 - 16.März 1986
© Jürgen Duenbostel
Wer ist der wahrste Heino?
Bild Heinos
echt?         echt?              echt?
Identitätssuche am Beispiel eines blonden Barden
In jedem steckt ein wahrer Heino

Von Jürgen Duenbostel

Was ist Wahrheit? Bewegt nicht jeden Menschen diese Frage von Kindesbeinen an? Kaum haben wir gelernt, daß ein vierbeiniges bewegliches Etwas ein Wauwau ist, wird diese Sicherheit von den eigenen Eltem wieder zerstört. "Nein, das ist nicht Wauwau", heißt es dann bei einer neuen Begegnung mit solch einem Wesen, "das ist eine Muh-Kuh, Muh!" Mit Hilfe eines Bilderbuches, in dem die Abbilder nicht mehr beweglich, dafür aber einprägsamer sind, lernen wir langsam zu konkretisieren und zu abstrahieren: Wauwau, Muh, Mäh, Miau, Kikirikiii (zweibeinig).

Wir kennen viele Tiere bereits, bevor wir sie je in der Wirklichkeit gesehen haben. Und die vielfältigen Formen der Wirklichkeit, die wir später erfahren, erreichen längst nicht immer das uns eingeprägte farbige Idealbild. Was ist doch manch trauriger Hund gegen den prächtigen Wauwau aus dem Bilderbuch unserer Kindertage.

Noch etwas lernen wir aus dieser Geschichte Was wir als Wirklichkeit erkennen, hängt immer auch davon ab, wie wir es kennenlernen, wie Eltern, Freunde, Bekannte und die Umwelt uns die Wahrheit vermitteln. Es gibt keinen direkten Zugang zur Wirklichkeit, sondern nur einen mittelbaren: Das Medium ist die Botschaft, verkörpert die Wahrheit. Bei unseren begrenzten Möglichkeiten, etwas selbst zu sehen, zu erfahren, lernen wir den größten Teil der Welt - oder besser unseres Weltbildes - durch die Medien kennen. Durch Fernsehen, Schallplatten, Fotos und Schriften wird uns die Wirklichkeit vermittelt. Aber ist das dann die Wahrheit selbst?

"Erkenne Dich selbst!" fordert die Inschrift im Apollon-Tempel in Delphi den Betrachter auf. Doch daß die Selbsterkenntnis ein schwieriges Unterfangen ist, haben schon die Philosophen des alten Griechenland erkannt. Platon etwa schildert in seinem Höhlengleichnis gefesselte Menschen, die in der Dunkelheit der Höhle niemals etwas anderes gesehen haben als an der Höhlenwand Schatten von Wesen, die draußen vorbeigehen. Muß für die Gefesselten nicht der Schatten die Wirklichkeit sein, weil sie andere Dimensionen der Außenwelt nie kennengelernt haben?

Und ist es nicht genauso schwer, sich selbst zu erkennen, da man sich von außerhalb nie sehen kann? Ist die Wahrheit etwa in uns, in unseren Gedanken?

Immerhin, dafür, daß man selbst überhaupt existiert, glaubten die alten Philosophen einen Beweis gefunden zu haben: "Cogito, ergo sum" (Ich denke, folglich existiere ich) lautet der berühmte Satz Descartes.

Ich denke, also bin ich. Doch wenn ich denke, ich bin Heino, bin ich dann Heino?

Wahrlich nicht zu beneiden sind jene Düsseldorfer Richter, die jetzt darüber urteilen sollen, wer der einzig wahre und wirkliche Heino ist, jener berühmte Volksliedsänger, der in unsrem Herzen so manche Sehnsucht weckt. Durch Fernsehen, Schallplatten und Auftritte auf der Bühne ist er uns allen bekannt. Aber selbst bei Live-Veranstaltungen kann man ihn nur vermittelt erfahren: Perücke, Sonnenbrille, Schminke, Gitarre und die typische Kleidung machen einen großen Teil des Heino-Erlebnisses aus. Auch die Stimme, die unser Ohr erreicht, ist überwiegend ein Produkt der Technik, ein Ergebnis von Mikrophonen, Verstärkern und manchmal Playback total. Dennoch ist es für uns Heino. Denn die Lieder, die er singt, sind jene, die wir wiedererkennen aus alten Zeiten, als wir noch deutsche Volkslieder lernten, und die uns später das Fernsehen als Klänge von Heino präsentierte.

Deutsche Volkslieder, blond und blauäugig und Heino, das paßt zusammen, auch wenn man die blauen Augen hinter der Sonnenbrille nur vermuten kann. So ist es nicht verwunderlich, daß alle Strophen des Deutschlandliedes, auf einer Tournee in ehemals Deutsch-Südwest von Heino vorgetragen, bei den dortigen "Deutschen" Begeisterungsstürme hervorriefen. Ohne die Idee dessen, was Heino ist, wäre der Mensch mit bürgerlichem Namen Heinz-Georg Kramm, der dort als Heino auftrat, sicher kaum beachtet worden. Und paßt es nicht in unsere Zeit, daß sich diese Heino-ldee geradezu beängstigend verbreitet?

Bei der Berliner Punk Gruppe "Die Toten Hosen" tritt Norbert Hähnel - in den übrigen Beiträgen nur gewöhnliches Band-Mitglied - zwischendurch mit Playback-Musik als "einzig wahrer und wirklicher Heino" auf und löst damit beim Publikum wahre und wirkliche Begeisterungsstürme aus. Auch beim Karneval tauchen von Jahr zu Jahr mehr Heinos auf. Selbst bei den Gerichtsverhandlungen, in denen die Richter entscheiden sollen, ob Norbert Hähnel oder nur Heinz-Georg Kramm sich "einzig wahrer und wirklicher Heino" nennen darf, sitzen im Publikum stets zahlreiche Heinos mit blonden Perücken und Sonnenbrillen.

Wie soll das Gericht da im Namen des Volkes der Wahrheitsfindung zum Erfolg verhelfen? Was hülfe es etwa, wenn ein Gericht einen einzelnen, eingebildet daherkrähenden Gockel als "einzig wahren und wirklichen Kikirikiii" bestätigte? Wäre damit die Wahrheit unseres Kikirikiiis, den wir alle irgendwie aus den bunten Bilderbüchern kennen, weniger wirklich? - Wohl kaum!

So bleibt die für die eine Seite heilsame, für die andere eher vernichtende Wahrheit: Wie immer die Richter im Heino- Prozeß entscheiden werden, den wahren und wirklichen Heino werden sie nicht auslöschen können, denn der wahre und wirkliche Heino lebt - geradezu beängstigend - irgendwo in uns allen.


Auflösung des Bilderrätsels: Der Autor dieses Artikels ist auf dem Foto rechts

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