Noch eine Geschichte aus Botswana:Traumhochzeit mit einer TotenVon Jürgen DuenbostelSie hatten schon drei Kinder. Aber irgendwie wollte es mit der Hochzeit nicht klappen. Kühe sind teuer heutzutage. Da fiel es Kemoreng Jack schwer, den Brautpreis für seine Freundin zusammenzusparen. Und dann wurde er überdies arbeitslos. Auch die komplizierten Hochzeitsvorbereitungen kosteten ihre Zeit. Braut und Bräutigam stammen aus weit voneinander entfernten Dörfern mit unterschiedlichen Traditionen und Ritualen. Da müssen die Großfamilien beider Seiten Vertreter auf die weite Reise zueinander schicken, um im Detail auszuhandeln, nach welchen Sitten bei der Hochzeit verfahren werden soll. Bis alles im einzelnen geklärt ist, bis sich beide Familien endgültig geeinigt haben, können Jahre vergehen. | seiner verstorbenen Frau Foto: Jürgen Duenbostel |
Es sind Jahre vergangen. Kemorengs Freundin ist
darüber verstorben. Sie hatte Mandelentzündung. Der
Witchdoctor, der traditionelle Medizinmann (und
Architekt und Baumeister), zu dem Kemoreng sie
gebracht hatte, war ein Scharlatan. "Die 300 Pula und
dann noch einmal 200 Pula waren rausgeschmissenes
Geld", bereut Kemoreng heute. Aber auch das Princess-
Marina-Hospital in der Hauptstadt konnte danach nicht
mehr helfen. Sein letztes Geld hat Kemoreng
ausgegeben, um seine katholische Freundin nach
traditioneller Sitte zu beerdigen.
Dann mußte er wieder von vorne anfangen, auf den Brautpreis zu sparen. Denn Kemoreng will seine Freundin heiraten - die verstorbene, posthum.
Orte der Handlung:
Auftretende Personen:
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Foto: Jürgen Duenbostel |
Es war um die Jahrhundertwende. Die Briten ließen die
Eisenbahnlinie bauen, die das Erz aus den Minen
Nordrhodesiens (heute Sambia) über Betschuanaland
(heute Botswana) zu den Häfen Südafrikas bringen
sollte. Jack nannten die Briten einen der Arbeiter,
den sie für den Streckenbau aus Rhodesien angeheuert
hatten. Jack nannten ihn auch die Leute in dem Dorf
in Betschuanaland, wo er nach dem Bau der Bahnlinie
hängenblieb.
Jack ist der Nachname von Kemoreng. Er hat den Namen vom Urgroßvater geerbt. Und das Dorf Sefhare im heutigen Botswana hat mit der Familie Jack einen Hauch der Sitten und Traditionen aus dem Inneren Rhodesiens geerbt. Kemoreng trägt eine Sonnenbrille, ein Statussymbol von Stadtmenschen. Kemoreng ist Stadtmensch, heute. Mit zwanzig ging er aus Sefhare weg, auf der Suche nach Arbeit. Wohl auch, um der Enge des Dorfes zu entfliehen. In Sefhare hatte er Rinder hüten müssen. Zur Schule ist er nicht gegangen; das Vieh war wichtiger. So kann Kemoreng lediglich seinen Namen schreiben. |
Sefhare ist ein traditionelles Dorf. Die meisten
Bewohner haben noch Rundhütten. Vor ein paar
wenigen parken allerdings moderne Autos. Und es ist
ein besonderes Dorf: gesegnet mit Wasser. Am Hang
eines Hügels entspringt eine Quelle, die selbst bei
ärgster Dürre nicht versiegt. Ein Zauber liegt über
der Quelle und die Götter wohnen dort. Das Wasser
teilt sich in zwei Rinnsaale, die wundersam einander
später wieder kreuzen.
Es herrscht noch Disziplin in Sefhare. Fremde, die ins Dorf kommen, müssen sich beim Chief, beim Häuptling, anmelden und verabschieden. Und wer sich nicht an die strengen Sitten der Dorfgemeinschaft hält, wird schnell geächtet, gerät leicht in Gefahr, verhext zu werden. Auch das ist ein Grund, warum junge Leute in die Stadt abwandern. Früher gingen die jungen Männer, wenn sie 16 oder 17 Jahre alt wurden, gemeinsam zur Arbeit in die südafrikanischen Minen. Das war ihre Reifeprüfung. Dort lernten sie die große, weite Welt, die Stadt (in Form der Townships) kennen - und die Apartheid. Nach neun Monaten, zu Beginn der Regenzeit im Oktober, kamen sie ins Dorf zurück, um die Felder zu bestellen. Die Rückkehrer hatten dann viel zu erzählen von der großen, weiten Welt. Heute bleiben die jungen Leute, die in die Stadt gehen, meistens dort. Sie entfernen sich - im wörtlichen Sinne - von den tradtionellen Sitten. In der Stadt, fern von der strikten sozialen Kontrolle des Dorfes, hat Kemoreng seine Freundin Mmabene getroffen. Mmabene kam aus dem Dorf Mmopane. Mmopane liegt nur knapp 30 Kilometer von Gaborone entfernt. Aber die Stadt hat dort noch wenig Spuren hinterlassen, wenngleich schon mal eine Fersehantenne eine traditionelle Rundhütte ziert und die Transistorradios - wie überall in Botswana - ständig dudeln. Nach Stadtsitte haben Kemoreng und Mmabene einfach zusammengelebt, ohne daß zuvor ihre zwei Großfamilien die Verlobungsrituale arrangierten. Sie bekamen drei Kinder und hätten nach modernem Zivilrecht auch ohne Zustimmung der Eltern heiraten können. "Unter neuem Zivilrecht braucht man keine Eltern, wenn man heiraten will", erläutert Patrick Kgoadi, Rechtsanwalt und Onkel von Kemoreng. "Du brauchst nur mit deiner Geliebten zum Priester oder Distrikts- Standesbeamten zu gehen und zwei Zeugen mitzubringen, und dann kannst Du heiraten. Aber nach traditionellem Recht sind die gesamten Großfamilien beteiligt. Man heiratet nicht nur die Frau, sondern ihre gesamte Familie; zwei Familien werden verbunden." Traditionelles Recht und modernes Recht existieren parallel in Botswana. Die meisten Städter leben gleichzeitig ein modernes und ein traditionelles Leben. Wer allein nach modernem Recht handelt, kappt damit die Bindungen zur Familie. Und verlöre so seine soziale Sicherheit. Denn die Großfamilien sorgen für ihre in Not geratenen Mitglieder. Sozialversicherung gibt es nicht. Wer kann sich da schon aus der Familie lösen? Kemoreng jedenfalls konnte es nicht. Doch auch traditionelles Recht hat seinen Preis. Gleich nach der Beerdigung seiner Freundin haben die Schwiegereltern Kemorengs seine Kinder aus der Stadt ins Dorf Mmopane geholt. Der Brautpreis war noch nicht bezahlt. Folglich gehören die Kinder in die Familie der Mutter. So wollen es die alten Sitten. Erst wenn die Hochzeitsrituale abgeschlossen sind, wenn der Brautpreis bezahlt, die Hochzeit posthum vollzogen ist und somit beide Familien verbunden sind, kann Kemoreng seine Kinder wieder zu sich nehmen. Kemoreng mag seine Kinder, er will sie wiederhaben. Deshalb möchte er nun posthum seine Freundin heiraten. "Heute macht jeder, was er will. Sie heiraten, sie scheiden, sie bringen einander um." Unwirsch verkündet der alte Kekoahetse Sethebe , der Vater von Kemorengs verstorbener Freundin, seine Meinung über die moderne Zeit. "Die Frauen heute kümmern sich nicht mehr richtig um die Besucher, sie schminken sich stattdessen. Früher war der Weg zum Wasser viel weiter, aber es gab immer Wasser im Hof. Heute ist ein Wasserhahn im Dorf, aber es gibt oft kein Wasser im Hof. Früher haben die Mädchen in der Schule gelernt, wie man den Hof in Ordnung hält und Gäste versorgt. Heute lernen sie nur Mathematik und Englisch, aber keine nützlichen Sachen. Zum Beispiel, wie man den Eimer beim Melken sauber hält, damit die Fliegen nicht kommen. Damals war die Milch noch sauberer und das Vieh war gesünder und es hat viel Milch gegeben. Das war damals noch eine gute Zeit."
Selbstverständlich erwartet der Alte, daß Kemoreng bei jedem Besuch Geschenke mitbringt: Maismehl, Zucker und Tee zur Versorgung der Kinder und Schnupftabak für den Alten selbst. Dank solcher Geschenke ist Kemoreng inzwischen ein gern gesehener Gast in Mmopane. Aber irgendwie kommen die Verhandlungen um den Brautpreis trotzdem nicht voran. "Die Kinder könnten durchaus bei mir bleiben", betont der Alte, "bis sie erwachsen sind." Etwa sechs Kühe, im Wert von umgerechnet rund 3000 Mark, müßte Kemoreng als Brautpreis aufbringen. Wie er das je schaffen will, bleibt unklar. Denn Arbeit hat er immer noch nicht. Sein winziges Zimmer in einem schlichten Häuschen in einem armen Viertel von Gaborone ist zugleich sein Laden. Aus dem verkauft er an Nachbarn Maismehl, Getränke, Zigaretten, Seife und Waschpulver. Davon lebt er. Aber die Kinder könnte er davon nie ernähren, geschweige denn den Brautpreis bezahlen.
Die Alte hofft auf Kemorengs posthume Hochzeit. "Wenn die Kinder bei uns hier im Dorfe sind, dann wird Kemoreng häufiger kommen und Geschenke mitbringen." In vielen Dörfern Botswanas trifft man fast ausschließlich alte Leute, Kinder und junge Mädchen. Die Männer im arbeitsfähigen Alter sind auf der Suche nach Arbeit und Vergnügen in die Stadt abgewandert. Auch die Mädchen, wenn sie 18, 20 sind, suchen Jobs in der Stadt. Meist werden sie Hausgehilfin für rund hundert Mark im Monat plus Unterkunft und Verpflegung. Die Alten und die Kinder bleiben mit der Arbeit allein im Dorfe. Aber zu pflügen und das Vieh zu hüten, über weite Strecken Wasser und Feuerholz zu tragen, ist für Alte und Kinder zu beschwerlich, zumal die Ziegen in der Nähe des Dorfes alles kahlgefressen haben. Die Dörfer verarmen mehr und mehr. Aber die Alten hoffen, daß ihre Söhne und Töchter, die in der Stadt Geld verdienen, genug davon nach Hause schicken werden. Aber in der Stadt ist die Miete hoch und das Leben teuer und die Jobs sind rar. Das Geld, das die Söhne und Töchter in der Stadt verdienen, reicht oft kaum für deren eigenes Überleben. So setzen alle auf die nächste Generation. Die Alten im Dorf hoffen, daß ihre Enkel, wenn sie denn im Dorfe bleiben und erwachsen werden, pflügen, Wasser holen, Feuerholz sammeln und das Vieh hüten werden, und so die Alten, die nicht mehr arbeiten können, mit versorgen. Arbeitslose Eltern in der Stadt hoffen, daß ihre Kinder, wenn sie erst erwachsen und besser ausgebildet sind, in der Stadt gut bezahlte Stellen finden und so die Eltern mit versorgen können. Und die Kinder, wenn sie erst erwachsen sind, sehen, wie die Dörfer mehr und mehr verarmen. Sie wandern dann ab in die Stadt auf der Suche nach Arbeit und Freiheit und Vergnügen. Aber sie finden selten, was sie suchen. Wenn es gerade fürs eigene Überleben reicht, vergessen sie ihre Familie. So sind die traditionellen Großfamilien mit ihrem sozialen Schutz vielfach schon längst zerbrochen. Aber eine Sozialversicherung, die wenigsten diese Schutzfunktion ersetzen könnte, gibt es nicht. Kemoreng, seine Schwiegereltern, seine Mutter, sie alle bauen Luftschlösser, wenn sie auf die Kinder als künftige Versorger setzen. Mangels Vieh und mangels Geld wird Kemoreng seine Mmabene wohl nie heiraten können. Die Hochzeit mit der Toten bleibt ein unerfüllbarer Traum. |
© Jürgen Duenbostel