Afrikas letzte Cowboys    Traumhochzeit mit einer Toten  home
Originalmanuskript DIE ZEIT Nr. 13 - 22. März 1991
© Jürgen Duenbostel
Namibia nach der Unabhängigkeit.
Das Umdenken macht Mühe und die "Helden"
des Kriegs gegen die Besatzer sind enttäuscht.

"Ist das die Freiheit,
für die wir gekämpft haben?"

Von Jürgen Duenbostel

Im Rollstuhl sind es bis "Las Vegas" fünf Minuten. Geld kann man dort zwar nicht gewinnen, aber Karten spielen und knobeln, trinken und vom großen Glück träumen - und vor allem vergessen. Vergessen, daß der Mitspieler auf der anderen Seite gekämpft hat. Auf der Seite, von der die Granate kam, die den Rollstuhlfahrer für den Rest seines Lebens zum Helden und Krüppel gemacht hat.

Nachtclub nennt sich der schlichte Blechdach-Bau mit dem von der Spieler-Stadt geborgten Namen. Eigentlich ist es die übliche "Bar & Bottle Store"- Kombination. Aber die scheppernd dröhnende Musik aus den Lautsprechern wirkt wie ein Magnet auf die kriegsversehrten Veteranen aus dem benachbarten Hospital. Schließlich gibt es für sie nicht viel Abwechslung hier in Oshakati, der Bezirkshauptstadt von Namibias Ovamboland.

Foto
Wie wird die Zukunft für Namibias
Kinder aussehen?
Foto:Jürgen Duenbostel
Ab und an allerdings, wenn sie einmal besser bei Kasse sind, lenken sie ihren Rollstuhl oder humpeln sie auf ihren Krücken auch zur Bar des "International Guest-House", dem einzigen Hotel guten Standards in der Region. Sie passieren dabei jenes inzwischen verrostete Tor mit dem verlassenen Wachhäuschen, wo früher Schwarzen der Zutritt verwehrt wurde. Dahinter liegt, hoch umzäunt, das bessere Viertel. Immer noch wohnen hier die Weißen. Es sind Beamte aus der Verwaltung und vielfach ehemalige Angehörige der südafrikanischen Armee. Die Sandsäcke aus der Kriegszeit nutzen sie jetzt zur Umrandung ihrer Blumenbeete.
PLAN-Truppen
Truppen der einstigen PLAN beim Manöver
Gelangweilt vertreiben sich die schwarzen Barkeeper und Kellner mit Knobeln die Zeit. Es gibt kaum noch Gäste im "Guest-House". Seit die südafrikanische Armee und die UNCTAD-Truppen der Vereinten Nationen abgezogen sind, ist der Bier- und Beefsteak-Boom im Norden Namibias vorbei. Auch in den Läden sind die Umsätze drastisch gesunken. Hochgeschnellt sind die Arbeitslosenzahlen. Und Diebstähle, Einbrüche und Überfälle nehmen Überhand. "Aus Sicherheitsgründen" haben deshalb viele weiße Ärzte und Apotheker dem Norden den Rücken gekehrt. Die medizinische Versorgung beginnt bereits kritisch zu werden. Im Krieg hatten sie sich offenbar sicherer gefühlt. Oder ist der Hauptgrund ihrer Landflucht die neue Politik, daß weiße Mediziner hier nicht mehr besser bezahlt werden als schwarze?
Es ist - fast ein Jahr nach der Unabhängigkeit - eine heikle Aufgabe für die namibische Regierung, die weißen Fachkräfte, auf die das Land noch lange angewiesen sein wird, bei der Stange zu halten und gleichzeitig die Masse der Wähler nicht vor den Kopf zu stoßen. Letztere haben in die Unabhängigkeit große Erwartungen gesetzt, zu große vielleicht. Schon macht sich bei Anhängern der SWAPO, insbesondere den ehemaligen Soldaten der PLAN, der "Volksbefreiungsarmee Namibias", Enttäuschung breit. "Ist das die Freiheit, für die wir gekämpft haben?", fragen viele, die noch immer auf einen Job warten. Sie hatten gehofft, vielleicht mit einem Stück Land, einem Häuschen oder einem Posten in der Regierung oder Verwaltung belohnt zu werden.

Aber solange weiße Farmer ihr Land nicht verkaufen, kann die Regierung nur neues Land zur Zuteilung urbar machen. Und das kostet Geld und Zeit. Und selbst wenn die Weißen verkaufen, mag eine Zerstückelung der Flächen ökologisch riskant sein und den Neubauern kaum zum Überleben reichen. Denn die Agrarpreise sind schlechter geworden. Im Jahr 1972 konnte ein Farmer noch für den Erlös von vier Rindern einen "Bakkie", einen Pritschenwagen erstehen. Heute muß er für solch einen Kleinlastwagen schon 40 Rinder verkaufen.

Mit dem Arbeitsangebot im Öffentlichentlichen Dienst sieht es auch nicht rosiger aus. Zum einen gibt es aus den Reihen der PLAN-Veteranen nicht genügend gut ausgebildete Kräfte. Zum andern sind in der Verwaltung keine Stellen frei. Die Regierung mußte fast die gesamte, noch aus der Apartheidszeit stammende, aufgeblähte Bürokratie übernehmen, um den Frieden und die Versöhnung nicht zu gefährden. Denn Versöhnung ist das wichtigste für die Zukunft des jungen Staates.

Wohl kaum jemand hatte erwartet, daß die neue Regierung diese Politik so konsequent und nachdrücklich verfolgen würde. Was in der Vergangenheit geschehen sei, müsse "vergeben und vergessen" werden, fordert Präsident Sam Nujoma seine Landsleute wieder und wieder auf. Die meisten geben sich redlich Mühe, das zu beherzigen. "Es ist nicht leicht, den Wunsch nach Rache zu unterdrücken, aber ich kann ihnen vergeben", meint Simon Ndakewa, der einst von der berüchtigten Einheit Koevoet (=Brechstange) gefangen und gequält wurde und jetzt gelegentlich auf Oshakatis Hauptstraße seinen damaligen Folterer wiedersieht. Auch in der neuen Armee funktioniert offenbar die Integration. Je zur Hälfte ist sie aus ehemalige PLAN-Kämpfern und deren früheren Gegnern zusammengesetzt, den Soldaten der SWATF, der von Südafrika geschaffenen Südwestafrikanischen Territorialstreitkräfte.

Manchmal scheint das Vergessen allerdings zu weit zu gehen. So stieß die Ernennung von Solomon "Jesus" Hawala zum Armeekommandeur, dem dritthöchsten Posten der Streitkräfte, auf heftige Kritik. Als Sicherheitschef der SWAPO und Leiter des Geheimdienstes der PLAN hatte sich Hawala wegen seiner Grausamkeiten gegen vermeintliche Spione in eigenen Reihen den Beinamen "der Schlächter von Lubango" zugezogen. Andere, denen die Brutalität burischer Polizisten noch in frischer Erinnerung ist, hat ebenso befremdet, daß ausgerechnet ein Bure, der Generalmajor Piet Fouche, zum ersten Polizeichef Namibias gemacht wurde. Aber vielleicht wäre die junge Nation schon im ersten Jahr gescheitert, wenn man begonnen hätte, vergangene Taten gegeneinander aufzurechnen.

Auf Dauer, so meint Immanuel Dumeni, Direktor des Komitees des namibischen Kirchenrats für Wiedereingliederung der Flüchtlinge und Wiederaufbau, auf Dauer sei jedoch mehr nötig, damit die Leute im Lande im Frieden miteinander leben: "Eventuell muß die Losung von Versöhnung langsam durch Worte abgelöst werden wie Gerechtigkeit, Gleichheit, Verbesserung des Lebensstandards und Ausgleich des regionalen Gefälles. Ich glaube, bislang ist die Lage noch unter Kontrolle, und was getan wurde, ist meiner Meinung nach das Beste, was getan werden konnte. Aber ich meine, daß jetzt die Zeit gekommen ist, anzufangen, für mehr Gerechtigkeit zu arbeiten, für Gleichheit und besseres Leben und für Arbeitsplätze für die Masse der Namibianer."

Der bessere Lebensstandard wird aber noch auf sich warten lassen. Denn wie Südafrika, mit dessen Wirtschaft das Land noch eng verflochten ist, schlitterte Namibia Anfang vergangenen Jahres in eine Rezession - just zu Beginn der Unabhängigkeit. Wahrscheinlich werden noch zwei Jahre vergehen, bis es zu einer wirtschaftlichen Erholung kommt. Erst dann kann Wirtschaftswachstum den bisher Benachteiligten zugute kommen. Nicht solange zu warten und den vorhandenen Besitz sofort drastisch umzuverteilen, kann sich die Regierung nicht leisten. Dann nämlich würde sie die weißen Fachleute verschrecken, deren Kenntnisse zum Aufbau der Nation noch unentbehrlich sind. Schließlich kontrollieren die Weißen, die nur sieben Prozent der 1,7 Millionen Einwohner Namibias ausmachen, noch 80 Prozent der Produktion. Zwar hat die Regierung gleich im ersten Budget die Bildungsausgaben kräftig erhöht - ein Viertel des Haushalts ist für Bildung und Ausbildung reserviert -, aber nach vielen Jahrzehnten südafrikanischer Bantu-Erziehung wird es Generationen dauern, bis der Ausbildungsrückstand aufgeholt ist.

So wird bei vielen Stellenbesetzungen immer noch Weißen der Vorzug gegeben. Das mag gar nicht Rassismus sein, sondern schlicht daran liegen, daß es keine schwarzen Bewerber mit den nötigen Qualifikationen gibt. Oft ist allerdings auch die Furcht ausschlaggebend, daß ein schwarzer Bewerber aus dem Norden ein "Gewerkschaftsagitator" sein könnte. Zu sehr ist das alte Denken in den Köpfen der Weißen verankert. Sie haben noch nicht akzeptiert, daß zu einer Demokratie auch ein neues, soziales Arbeitsrecht gehört. Und so mancher Großfarmer hält es noch für ausreichend, wenn er seine "Kaffern" mit Mais, Bohnen und Hirse versorgt und ihnen von Zeit zu Zeit eine Kudu-Antilope als Fleischration schießt. Die Regierung hat den Farmern jetzt eine Drei-Jahres-Frist gegeben, freiwillig die sozialen Bedingungen ihrer Arbeitskräfte zu verbessern. Wenn in dieser Zeit nichts geschieht, soll ein um so schärferes Arbeitsrecht in der Landwirtschaft verabschiedet werden.

Allerdings haben auch schwarze Geschäftsleute keine Neigung - und vielleicht auch kein Geld - für soziale Gesten. Die namibische Gewerkschaft für Beschäftigte der Lebensmittelbranche (Nafau) klagt, daß Arbeiter, die von schwarzen Unternehmern beschäftigt werden, noch schlechter bezahlt werden, länger arbeiten müssen und keine Sozialleistungen wie Altersversorgungs- oder Krankenversicherungszuschüsse erhalten.

Andererseits haben manche Namibianer auch falsche Vorstellungen von den Freiheiten der neuen Unabhängigkeit. Im Ovamboland etwa zahlen die Leute ihre Strom- und Wasserrechnungen nicht mehr, weil jetzt ja ihre Regierung an der Macht ist. In vielen Betrieben ist der "Schwund" sprunghaft angestiegen. Die Leute lassen mitgehen, was sie zu Hause gut gebrauchen oder verhökern können. Weiße Meister und Vorarbeiter schauen weg nach dem Motto: die Kaffern werden schon sehen, was sie davon haben.

Ministerpräsident Hage Geingob sah sich an seinem Arbeitsplatz in Windhoek selbst schon mit solchem Mentalitätsproblem konfrontiert: "Bislang waren die Schwarzen gezwungen, für Weiße zu arbeiten. Aber jetzt glaubt selbst das Reinigungspersonal hier im Regierungsgebäude, weil jetzt Schwarze regieren, könnten sie gammeln."

Die farbige Kellnerin im "Cafe Anton" jedoch, beim "Hotel Schweizer Haus" in Swakopmund, ist sehr fleißig. Sie spricht fließend deutsch, so wie es die überwiegend deutschstämmige und deutsche Kundschaft in diesem Seebad aus der Kaiserzeit erwartet. Man ist hier fast wieder unter sich, seit die Buren in "Südwest" nicht mehr das Sagen haben. Auch der palmenumsäumte Rasen des gegenüberliegenden State House ist wieder ordentlich und sauber. Wie hatte es doch die Leute aufgeregt, als dort im Dezember und Januar schwarze Soldaten kampierten. Der neue Präsident hatte sie als Leibgarde mitgebracht, als er in in jenen Tagen, wo es in Windhoek heiß und an der Küste angenehm kühl ist, seinen Sommerurlaub in Swakopmund verbrachte.
Feuerwehr
Feuerwehr in Lüderitz
Furchterregend war das schon. Noch heute ist es Tagesgespräch, daß die Garde einen Deutschen Schäferhund erschossen hat. Dabei war der Hund aus dem Diplomatenviertel Klein-Windhoek völlig unschuldig. Er war einfach gewohnt, Schwarze bisssig anzubellen. Doch Namibia ist ein Rechtsstaat. Mitglieder der Präsidentengarde erhielten einen Haftbefehl wegen Mordversuchs. Nicht wegen des Hundes, sondern weil sie auch einen weißen Farmer ins Bein geschossen hatten, der der Blaulichkolonne des Präsidenten nicht rechtzeitig den Weg freigemacht hatte.
Vielen Weißen fällt es wohl auch immer noch schwer, Platz zu machen, wenn schwarze Posten das für einen "Kaffern-Präsidenten" verlangen. Und die Soldaten der Garde, noch unsicher in ihrer neuen Aufgabe, reagieren leicht überreizt.

Aber jetzt ist der Präsident wieder weit weg in Windhoek. Und die Kaiser Wilhelm Straße in Swakopmund heißt immer noch Kaiser Wilhelm Straße, die Moltke Straße noch Moltke Straße, der rot-weiße Leuchtturm steht auch noch und das Hansa-Bier schmeckt weiter so wie früher.

Es bedurfte einst schon deutschen Einfallsreichtums, ausgerechnet hier in Swakopmund eine Brauerei zu gründen. Denn der allmorgendliche Nebel, der vom kalten Benguela- Meeresstrom herüberzieht und die gelb-graue Namib-Wüste benetzt, ist die einzig natürliche Quelle von Feuchtigkeit. Nur Tiefbrunnen, die Grundwasser unter dem fast immer trockenen Swakopfluß fördern, und inzwischen auch eine Meerwasserentsalzungsanlage, bringen zusätzliches kostbares Naß. Aber "Bier aus dem Durstland" ist ein bis heute erfolgreicher Werbespruch.

Die deutschen Brauer, die in der Eckkneipe der Hansa-Brauerei nach Feierabend noch ein paar Schoppen Freibier trinken, sprechen eigentlich ganz freundlich über ihre Kollegen, "die Kaffern"; die allerdings gestern wieder einen fatalen Fehler gemacht haben. Die doppelte Menge Gärsud haben sie in den Tank gegeben. Hätten nicht die deutschen Brauer mit ihrem Fachwissen alles noch retten können....

Wie lange wird hier "Deutsch Südwest" noch weiterleben?

Gerade dieser Reiz des lebendigen Kolonialmuseums ist es jedoch, der die Touristen nach Swakopmund zieht. Gut 30.000 kommen jährlich aus Deutschland, der Schweiz und Österreich nach Namibia. Viele sind Verwandte und Bekannte von deutschstämmigen "Südwestlern". Sie bringen wichtige Devisen mit, die das Land für seine Zukunft benötigt. Hanno Rumpf, Staatssekretär für Natur, Umweltschutz und Tourismus, SWAPO- Mitglied, weiß und deutschsprachig, will den historischen Bezug zu Deutschland erhalten, um die Besucher von dort nicht zu verlieren. Auch in Südafrika wird geworben, um Urlauber von dort zurückzugewinnen. Denn vor allem mit Geldern von den Touristen muß das Ministerium den Umwelt- und Naturschutz finanzieren.

Mit vermeintlichen Naturfreunden hatte Rumpf allerdings schon erheblichen Ärger. Die Koordinatorin der Gruppe "SOS" (Save our seals) warf eine "Blut-Bome" aus Catchup in das Büro der namibischen Tourismusbehörde, um gegen das Töten von Seelöwen zu demonstrieren. Schon drohen Aktionsgruppen mit einer internationalen Boykottkampagne gegen Namibia. "Diese Gruppen greifen das weltweit emotional aufgeheizte Robben-Thema auf", kommentiert Hanno Rumpf, "ohne zu differenzieren. In Namibia sind es andere Robben als die in Kanada. Seit den späten zwanziger Jahren werden Seelöwen hier geschlagen. Und wissenschaftliche Zählungen haben ergeben, daß sich ihre Zahl seit dem Zweiten Weltkrieg verdreifacht hat. Aber als Anfang der achtziger Jahre keine Robben geschlagen wurden, spülte das Meer tausende von verhungerten Robbenbabies bei Lüderitz an. Das natürliche Gleichgewicht, das diese Gruppen postulieren, ist durch menschliche Eingriffe schon lange zerstört. Heute ist eine kontrollierte Pflege solcher Ressourcen nötig. Und die schafft zudem noch Arbeitsplätze."

Die Robbenbabies waren verhungert, weil internationale Fischflotten in der Zeit der südafrikanischen Besetzung des Landes schamlos die Fischbestände vor der Küste geplündert haben. Auch heute wildern noch fremde Fischer in namibischen Gewässern. Zwar hat der jetzt unabhängige Staat eine rechtlich gesicherte 200- Meilen-Wirtschaftszone vor der Küste, aber noch nicht genügend Patroillenboote und -hubschrauber, um alle "Seeräuber" zu vertreiben. Der Fischbestand erholt sich deshalb nur langsam. Vor allem die Spanier, deren fischverarbeitende Industrie in den verarmten Gebieten an der spanischen Atlantik-Küste von Arbeitslosigkeit bedroht ist, freibeutern fleißig weiter in namibischen Gewässern. Im im November allerdings gelang es der namibischen Küstenwache, fünf spanische Fangschiffe nach Schüssen vor den Bug zu entern und die Schiffe mit einer Fischladung im Wert von fast sechs Millionen Dollar zu beschlagnahmen. Namibias Außenminister Theo Ben Gurirab warnte Spaniens Botschafter: "Das nächste Mal müssen wir vielleicht schon über Tote reden." Jetzt allerdings wird über eine Fischverarbeitungsfabrik verhandelt, die Spanien in Lüderitz errichten will. Namibia braucht schließlich die Arbeitsplätze.

Wenn es gelingt, die Fischbestände völlig zu regenerieren, dann könnte die Fischerei und Fischverarbeitung zum wichtigsten Wirtschaftsfaktor des Landes werden. Rund eine Milliarde Dollar pro Jahr und jede Menge Arbeitsplätze könnte die Fischerei dem Lande einbringen. Auch der Seetank des Meeres soll genutzt werden. Mit Hilfe von Aquakulturen will Namibia chemische Grundstoffe daraus gewinnen.

Die traditionellen Minen können dem Land ebenfalls noch einiges einbringen. Zwar sind die Uranpreise gefallen und der Absatz von Rössings Uranabbau ist zurückgegangen, aber die zum De Beers Konzern gehörenden Consolidated Diamont Mines investieren kräftig in die Erschließung weiterer Diamantenvorkommen. Auch wurde im vergangenen Jahr rund 200 Kilometer nordwestlich von Windhoek bei Karibib das erste Goldbergwerk des Landes eröffnet.

Darüberhinaus besteht die Chance, daß in Namibia wie im benachbarten Angola Öl gefunden wird. Im Norden des Landes, wo wegen des langen Krieges vorher keine Erkundungen möglich waren, hat ein Unternehmen aus Taiwan die Ölsuche aufgenommen. Gerade in dieser Region, wo die Arbeitslosigkeit am höchsten ist, sind Investoren hochwillkommen. Aber weil hier außer der von den Südafrikanern angelegten militärischen Rollbahn zur angolanischen Grenze und der parallelen Wasser- Pipeline kaum Infrastruktur vorhanden ist, zeigen die Unternehmen noch wenig Interesse.

Das könnte sich aber ändern, wenn auch in Angola die Unita-Rebellen jetzt endlich dauerhaften Frieden mit der Regierung schließen. Dann nämlich könnte von hier aus die Versorgung und der Wiederaufbau der kriegszerstörten Gebiete Angolas beginnen.
Insgesamt hat Namibia also auf lange Sicht wohl wirtschaftlich bessere Chancen als die meisten anderen afrikanischen Staaten. Doch zunächst einmal wirken sich Investitionen steuermindernd und damit negativ auf die Staatskasse aus. "Geduld, Geduld" predigt deshalb die SWAPO ihren Anhängern, die nicht begreifen wollen, daß es mit Beginn der Unabhängigkeit zunächst einmal bergab geht. Es wird schon einige Überzeugungskraft erfordern, neuen Aufruhr zu verhindern. Die nächsten zwei Jahre werden dabei die entscheidenden sein. Wenn es der Regierung Nujoma in dieser Zeit gelingt, das Wiederaufbrechen alter Konflikte zu vermeiden und Schwarze wie Weiße für aktive Mitarbeit beim Aufbau des neuen Staates zu gewinnen, dann hat das Land eine gute Chance für einen dauerhaften Frieden und stetigen Anstieg des Lebensstandards.

Zunächst aber sind viele Namibianer vor allem damit beschäftigt, wie sie die nächsten Wochen und Monate über die Runden kommen. In Windhoek steht ein junger Mann, ein Schwarzer, am "Robot", an der Ampel. Wenn sie rot ist, ruft er den Autofahrern, jedem einzeln, zu: "Ek soek vir werk!",("Ich suche Arbeit!"). Er spricht Afrikaans, denn die neue Amtsprache Englisch hat er noch nicht gelernt. Ob wohl ein Afrikaaner ein offenes Ohr für ihn hat und Bedarf an Arbeitskraft dazu?

schüler
Werden diese Schüler später einen Job bekommen?
Fotos: Jürgen Duenbostel

© Jürgen Duenbostel


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